Montag, 17. Mai 2010

Elektroauto "Umverteilung von den Dummen zu den Schlauen"

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Elektroauto

"Umverteilung von den Dummen zu den Schlauen"

Shai Agassi, Ex-Vorstandsmitglied von SAP, will mit Better Place die Automobilindustrie revolutionieren. Sein Ziel ist es, dem Elektroauto mit einem flächendeckenden Netz von Batteriewechselstationen "schneller, als von den meisten Managern in der Branche erwartet" zum Durchbruch zu verhelfen.

Der Better-Place-Gründer und-Chef spricht im Interview mit Handelsblatt Online über Subventionen, die Rolle Chinas, seine Pläne für Deutschland und seinen alten Bekannten Henning Kagermann, Deutschlands Mister Elektroauto.

Handelsblatt: Herr Agassi, als Outsider aus der Software-Industrie wollen Sie die Autoindustrie revolutionieren. An Visionen scheint es Ihnen nicht zu mangeln.

Shai Agassi: Das Ausmaß dieser technologischen Veränderung eröffnet fantastische Möglichkeiten: Öl ist zehnmal teurer geworden, die Kosten einer Batterie pro Kilometer sind zehnmal geringer geworden und ihre Lebensdauer hat sich verzehnfacht. Wenn vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, dass es möglich ist, das gesamte Internet zu durchsuchen, hätte jeder gelacht.

Die meisten Autofahrer werden auch heute noch lachen. Wenn wir das Auto unabhängig vom Öl machen, dann ist das großartig. Das gilt für Autofahrer ebenso für BMW, Renault oder Mercedes. Wenn wir vom Öl wegkommen, werden wir auch die Wirtschaft verändern. Die Welt gibt jedes Jahr rund drei Billionen Dollar für Öl aus. Dieses Geld fließt nicht in Sozialprogramme, nicht in Entwicklung, sondern wird im wahrsten Sinne des Wortes verbrannt, es brennt ein Loch in die Weltwirtschaft.


Handelsblatt: Wie schnell kann der Wandel eintreten?

Agassi: Er wird schneller geschehen, als von den meisten Managern in der Autoindustrie erwartet. Ich komme aus einer Branche, die permanent von Entwicklungsbrüchen geprägt wird. In der Autoindustrie war der letzte wirkliche Bruch die Einführung des T-Models von Ford.

Handelsblatt: Nach sechs Jahren bei SAP ein mutiger Schritt. Sie haben Ihr Vorstandsmandat gegen einen Start-up getauscht, bei dem es nicht mehr als eine Vision gab?

Agassi: Alles hat mit den Young Global Leaders des World Economic Forum begonnen. WEF-Chef Klaus Schwab stellte eine Frage, die mein Leben verändert hat: Wie machen Sie die Welt bis zum Jahr 2020 zu einem besseren Ort? Es reicht nicht, Karriere zu machen. Es ist wichtig, etwas zu tun, das diese Welt verändert. Eine weitere Version von SAP hätte die Welt wohl kaum verändert. Das drängendste Problem der Welt ist die Abhängigkeit von Öl und ich möchte dazu beitragen, das Problem zu lösen - auf Kosten meiner Karriere bei SAP.

Handelsblatt: Inzwischen haben Sie 700 Millionen US-Dollar eingesammelt. Reicht das, um Ihre Pläne zu verwirklichen?

Agassi: Wir haben ganz bewusst kein eigenes Auto gebaut, im Gegensatz etwa zu Tesla. Man kann nicht mit einem 5-Millionen-Dollar-Start-up gegen eine ganze Industrie antreten, die im Jahr drei Billionen Dollar umsetzt. In der Autobranche sind Größenvorteile sehr bedeutend. Ursprünglich haben wir uns als Agentur verstanden, die Regierungen mit einem Konzept versorgt.

Handelsblatt: Sie haben vor wenigen Tagen ein Taxi-Projekt in Tokio gestartet. Ein Modell für die Megastädte der Welt?

Agassi: München, Frankfurt, Berlin, Hannover haben alle das gleiche Thema - rund 40 Prozent der Luftverschmutzung innerhalb der Stadt wird von Taxis verursacht. Wir haben in Tokio einen fahrenden Beweis, dass unsere Lösung funktioniert. Emissionslose Taxis sind dort ununterbrochen 300 Kilometer am Tag im Einsatz. Die japanische Regierung fördert das finanziell. Auch in Deutschland wäre so etwas eine großartige Demonstration. Denn in einem Taxi fahren am Tag 25 oder 30 Gäste mit und sie stellen dem Fahrer alle die gleiche Frage: Funktioniert das wirklich? Und wenn der Taxifahrer sagt: Ich fahre damit jeden Tag 300 Kilometer, ist das der beste Beweis.

Elektroautos nur mit staatlicher Unterstützung?

Auch Frankreich hat eine Subvention von 5.000 Euro eingeführt und für Verbrennungsmotoren eine Besteuerung von 3.000 Euro eingeführt. Ihrer Ansicht nach gibt es genügend Dumme, die für die Schlauen zahlen, die auf den Elektroantrieb setzen. Für die Regierung ist das kostenneutral. Es ist nur eine Umverteilung von den Dummen zu den Schlauen. Das dient dem Zweck. Viel mehr ist nicht nötig. Wenn Deutschland sich dagegen entscheidet, werden wir als Infrastrukturanbieter uns fragen: Wo investiere ich meinen nächsten Euro?

Handelsblatt: Schaffen wir den Wandel nur mit Staatsunterstützung?

Agassi: Die Grundsatzfrage lautet, ob die Branche auf eigenen Füßen stehen kann. Werden Elektroautos ohne staatliche Unterstützung erschwinglich sein? Die Antwort lautet unbedingt ja. Solange wir nicht die notwendige Größenordnung für Skaleneffekte erreicht haben, brauchen wir Staatshilfen. Es geht dabei um den Aufbau einer neuen Industrie.

Handelsblatt: Ist die Autoindustrie denn bereit für den radikalen Wandel?

Agassi: Zum Glück gibt es auch visionäre Leute wie etwa Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn. Er führt die Industrie beim Übergang zur Elektromobilität an. Es gibt aber auch weitere Veränderer: GM-Chef Ed Whitacre versteht als ehemaliger ATT-Chef das Betreibermodell, Marchionne sprengt bei Fiat/Chrysler das Althergebrachte und Alan Mulally stammt aus der Flugzeugindustrie. Es gibt also viele Manager, die sich mit Brüchen und Übergängen auskennen und darauf vorbereitet sind. Alle sehen die Überkapazitäten der Branche und die Rolle Chinas als neuer Spieler.

Handelsblatt: Welche Rolle spielt Renault-Chef Ghosn?

Agassi: Ohne Renault wären wir nicht dort, wo wie jetzt sind. Als wir unser Konzept vorgestellt hatten, erklärten uns die meisten Autobosse für verrückt. Bis auf Ghosn, der sagte: Ich habe das Auto und die Batterie. Niemals wird ihm das einer nehmen können. Ghosn kann der neue Henry Ford der Autoindustrie werden - er verfolgt seine Ideen mit enormem Weitblick.

Handelsblatt: Ghosn riskiert viel. Er wettet auf Better Place. Ist das Wetten eine Vorsprungsdisziplin des modernen Managements?

Agassi: Renault setzt über 15 Prozent seines Forschungs- und Entwicklungsetats in eine Baureihe von neun verschiedenen Renault- und Nissan-Modellen, um Marktführer zu werden. Ist das verrückt? Nein. Als die sieche Musikindustrie dem baldigen Tod durch Raubkopierer entgegenjammerte, hat Jobs 50 Prozent seines Entwicklungsbudget auf ein einziges Produkt gesetzt: den iPod. Heute dominiert Apple das Geschäft mit legaler Musik im Internet, das Unternehmen ist der größte Musikeinzelhändler der Welt. Jeder bezeichnet Jobs als Genie. So eine Wette hat Ghosn abgeschlossen, und wenn er gewinnt, werden ihn alle als Genie feiern.

Handelsblatt: Sind die deutschen Automanager zu konservativ, um sich auf den neuen Markt zu wagen?

Agassi: Die deutsche Autoindustrie ist in ihrer eigenen Welt gefangen. Wenn Sie in Stuttgart einem fragen, ob er ein Elektroauto bauen kann, fragt der: Kann es 250 km/h fahren? Sie entgegnen: Niemand fährt 250 km/h. Aber das entspricht nicht den Überzeugungen eines Ingenieurs bei einem deutschen Autobauer. Davon müssen wir uns lösen. Das europäische Durchschnittsauto ist kein C-Klasse-Mercedes und kein VW Polo, Baujahr 2010, es ist der Golf von 2001. Das ist der Maßstab. Ein französischer Designer entwirft ein Auto unter dem Einfluss dessen, was er in Paris und den Außenbezirken der Stadt sieht. Diese Leute können Sie mit Batteriewechselstationen überzeugen.

China gibt heute den Ton an

Die Chinesen werden in fünf Jahren kein Auto mit Verbrennungsmotor mehr akzeptieren. Sie müssen ein Auto für Peking entwickeln, wo die Sonne an 330 Tagen im Jahr nicht zu sehen ist. Der Bürgermeister von Peking will Autos, die Menschen, die Smog nicht vertragen, nicht umbringen.

Handelsblatt: Bedeutet für die deutschen Hersteller?

Agassi: Alle Autobauer brauchen den chinesischen Markt. In China werden schon bald doppelt so viele Autos wie in Europa abgesetzt. Das verändert die Machtverteilung. Wenn China sich für Batteriewechselstationen in Peking und Schanghai entscheidet, wird das automatisch der Standard. In der Vergangenheit musste China aufholen und einen Standard schaffen, der mit dem europäischen konkurrierte. Jetzt setzen sie erstmals einen Standard, bevor es in Europa überhaupt einen gibt. Es ist deshalb unmöglich, sich von China unabhängig zu machen.



Handelsblatt: Daimler hat sich kürzlich mit Renault verbündet. Gilt das auch für die Kooperation der Franzosen mit Better Place?

Agassi: Die meisten Modelle von Daimler haben einen Sandwich-Boden, es gibt also unter dem Wagen einen Platz für eine auswechselbare Batterie. Wenn sie wollten, wäre es ein Leichtes. Die Partnerschaft ermöglicht es Daimler, hinter den Kulissen die Frage zu stellen: Funktioniert das wirklich?

Handelsblatt: Sprechen Sie auch direkt mit Daimler?

Agassi: Wir sprechen mit jedem. Es gibt keinen Autoboss, mit dem ich nicht schon gesprochen hätte. Was dabei rauskommt, kann ich nicht vorhersagen. Wir würden uns sehr über ein Daimler-Modell mit auswechselbarer Batterie freuen.

Handelsblatt: Sie haben weitere Kooperationen mit Autobauern angekündigt.

Agassi: Wir haben kürzlich die Zusammenarbeit mit Chery aus China bekannt gegeben. Wir haben eine weitere Partnerschaft in der Mache, von der wir wissen, dass sie zustande kommen wird. Die Autoindustrie will zu Recht Beweise sehen. Die können wir heute besser liefern als vor zwei Jahren. Wir haben mehr Kapital eingesammelt, wir haben in Tokio Autos auf der Straße, die zeigen, dass die Batteriewechselstationen funktionieren. Das erleichtert die Sache. Aber mit der Autoindustrie ist es nie leicht, das habe ich in den letzten zwei Jahren am eigenen Leib erfahren.

Handelsblatt: Wie sieht es mit den Plänen von Better Place für Deutschland aus?

Agassi: Wir haben große Hoffnungen für Deutschland. Die entscheidende Frage ist, ob die Regierung uns will. Wir können nicht in ein Land kommen, wenn uns dessen Staats- und Regierungschef nicht wollen. In Israel musste ich sowohl den Präsidenten als auch den Premierminister überzeugen. Hier muss ich wohl den Präsidenten und die Bundeskanzlerin überzeugen. Und ich habe gehört, dass der Präsident uns schon sehr unterstützt. Wir müssen also nur noch die Kanzlerin für uns gewinnen.

SAP-Kollegen treffen sich wieder

Handelsblatt: Ihr ehemaliger SAP-Kollege Henning Kagermann ist jetzt Deutschlands Mister Elektroauto. Hilft Ihnen das?

Agassi: Ich hoffe es.

Handelsblatt: Ihnen wird ein gutes Verhältnis nachgesagt.

Agassi: Ja. Henning und ich haben sechs Jahre zusammen gearbeitet. Wir haben großartige Dinge bei SAP hinbekommen. Ich war als sein Nachfolger vorgesehen, und er war eine beträchtliche Zeit lang mein Mentor. Ich habe mich für Elektrofahrzeuge entschieden und jetzt sind wir wieder in der gleichen Branche. Nur Leo [Apotheker, Anmerkung der Redaktion] fehlt. Dann wären die drei Musketiere wieder vereint.


Handelsblatt: Diesmal ist Kagermann Ihnen gefolgt.

Agassi: Ich denke, er dient der Kanzlerin. Das ist bewundernswert. Er ist ein großer Analytiker. Er hat immer das Wissen einer Branche vereinigt. Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass bei SAP nicht um Software geht: SAP ist ein Platz, der Branchen dient. Das kann Henning am besten. Bei Elektrofahrzeugen wird er analysieren: Es ist seine Stärke zu verstehen, wie die Gesetze der Mathematik und der Physik in einer Branche wirken und das vier oder fünf Jahre in die Zukunft zu projizieren. Ich bin mir sicher, wenn er die gleiche Analyse vornimmt wie ich, wird er zum gleichen Ergebnis kommen.

Handelsblatt: Er kommt wie Sie von außerhalb der Branche. Ist er der richtige Mann am richtigen Ort?

Agassi: Er ist der Mann, den Merkel ausgewählt hat. Sie müssen sich eines klar machen: Letztendlich wird der Übergang zu Elektrofahrzeugen die gesamte Industrie in Deutschland prägen. Es gibt kein wichtigeres Projekt für die deutsche Wirtschaft: Das betrifft acht Millionen Arbeitsplätze, 25 Prozent der deutschen Produktion. Wenn es der deutschen Kanzlerin misslingt, ist die deutsche Wirtschaft bedroht. Deswegen ist Henning wohl wichtiger als mancher Minister.

Handelsblatt: Gibt es für Sie einen Platz innerhalb der Nationalen Plattform Elektromobilität?

Agassi: Das hängt von der Definition ab. Wenn es eine Plattform ist, die einer erfolgreichen Branche beim Übergang zum Elektroantrieb helfen will, dann können wir unsere Stimme und unsere Perspektive anbieten.

Handelsblatt: Ist für Veränderung immer jemand von außen nötig?

Agassi: Wenn man eine Situation betrachtet, hilft es, von außerhalb zu schauen. Da bekommen Sie eine Perspektive. Ich glaube, für die beste Perspektive sind gewöhnlich zwei Augenpaare notwendig, nicht eines. Man braucht einen Insider und einen Outsider. Wir haben dem Büro der Kanzlerin unsere Hilfe angeboten, um einen anderen Blickwinkel anzubieten. Dieses Angebot für Deutschland gilt, wann immer das Land es möchte. [Das Interview führten Tino Andresen und Sven Scheffler für Handelsblatt Online] (ji)



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